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Juli 2009 - Offener Brief an Frau Dr. Ursula von der Leyen

Betreff: Frauendiskriminierende Werbung

Sehr geehrte Frau Dr. Ursula von der Leyen,

gerne erinnern wir uns noch an Ihren Besuch zu unserer 19. Bundeskonferenz im August 2008 in Frankfurt.

Wir möchten Ihnen ein Anliegen vortragen, welches mit der Bitte um Unterstützung verbunden ist.

Seit zwei Jahrzehnten beschäftigen wir uns als kommunale Frauenbeauftragte mit dem Thema frauendiskriminierende Werbung. In Einzelfällen konnten wir auch einiges erreichen, aber in der Gesamtheit hatten wir bisher nur wenig Erfolg.

Laut einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 19.06.2008 gäbe es immer weniger Frauen, die sich in Ihrer Würde durch diskriminierende, frauenfeindliche Werbung empfindlich verletzt fühlen. Darf man dem Pressesprecher des Deutschen Werberates, Herrn Volker Nickel, Glauben schenken, beschweren sich Frauen zunehmend seltener aufgrund von Sexismus in der Werbung.

„Sexistisch ist eine Werbung dann, wenn sie ein Geschlecht – noch immer meist die Frau – in traditionell beschränkter Funktion, als sexuell verfügbares Wesen oder nur mit stereotypen Eigenschaften darstellt; wenn sie Körper oder Körperteile wie Hintern oder Brüste als Blickfang einsetzt und so voyeuristische Instinkte bedient.“

Diese Definition befand sich bis vor kurzem noch auf der Internetseite des Deutschen Werberates (www.werberat.de).

58% der Frauen in Deutschland finden, dass Werbung zu sexistisch ist. 34% empfinden Werbung mit sexualisiert dargestellten Frauen als erniedrigend. Laut Homepage des Deutschen Werberates setzte sich dieser im Jahr 2007 mit 289 Werbeaktivitäten auseinander. 33% davon behandelten das Beschwerdethema Nummer eins: Diskriminierung von Frauen. Im Vorjahr belief sich dieser Anteil noch auf 38 %, was den Pressesprecher des Deutschen Werberates, Herrn Nickel, dazu veranlasste das Thema diskriminierende Werbung von Frauen als kontinuierlich rückläufig anzusehen. Demnach konnte der kurzzeitige Rückgang von Beschwerden bezüglich frauendiskriminierender Werbung ganz klar nur eines bedeuten: die Frauen akzeptierten allmählich die zunehmende Sexualisierung in der Werbung, und wollten zudem selbst mit erotischen Einlagen zum Kauf verführt werden (Quelle). Dass dem nicht so ist, zeigen die online neu veröffentlichten Zahlen zu 2008, wonach die Beschwerden gegen Frauenherabwürdigung mit 42% wieder einen deutlichen Anstieg verzeichnen.

Die Diplompsychologin Frau Viola Schreiber hatte bereits am 11.12.2008 einen Brief an das Bundeskanzleramt geschickt, um auf die, aus unserer Sicht, unzureichende Arbeit des Deutschen Werberates aufmerksam zu machen. In diesem Schreiben kritisierte sie die zumeist sexistische und diffamierende Darstellung von Frauen in der Werbung. Demnach wies sie auf die Gefahren hin, die ein derartig verzerrtes und eben oftmals sehr negatives transportiertes Rollenbild der Frauen für deren gesellschaftliche Wahrnehmung haben kann. Das Bundeskanzleramt verlautete daraufhin in einem Rückschreiben, dass die Kanzlerin „sich mit ihrer Politik mit Nachdruck gegen jede Art von Diskriminierung“ einsetze, allerdings auf die Gestaltung von Werbung keinen Einfluss nehmen könne. Hierfür sei der Deutsche Werberat uständig, welcher in der Vergangenheit wiederholt Kampagnen mit Erfolg beanstandet hätte, die als anstößig empfunden wurden.

Dass die Bundesregierung mehr gegen das in der Gesellschaft immer noch vorherrschende, traditionelle, rollenstereotype Denken unternehmen sollte, findet auch die „Gruppe der Frauenverbände Deutschlands“. Sie erklären in ihrem Schattenbericht zum 6. Bericht der Bundesregierung zum CEDAW (Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau; zu lesen unter: www.djb.de (PDF)), dass auch sie sexistische Werbung nach wie vor für ein gravierendes Problem, und den Deutschen Werberat zu dessen Bearbeitung für ungeeignet halten.

Es ist sicherlich anzuerkennen, dass der Deutsche Werberat den Werbetreibenden zum Teil Einhalt gebietet, allerdings spricht dieses Gremium im Schnitt zwei Drittel der beklagten Werbungen von Frauendiskriminierungsvorwürfen frei, mit der Begründung, die Bürgerinnen würden überzogen reagieren oder den optischen und textlichen Gehalt der betreffenden Werbemaßnahme überinterpretieren. Bei derlei Argumentationen verwundert der Rückgang von Beschwerden nicht. Zwischenzeitliche (inkonstante) Abnahmen der Beschwerden ließen sich somit eher durch Hoffnungslosigkeit und einer „bringt ja eh nichts“- Einstellung erklären, wenn die Klagen mit solch hoher Wahrscheinlichkeit (66%!) ohnehin als nichtig abgetan werden. Wer soll sich da ernst genommen fühlen?

Diesbezüglich, und aufgrund der Zusammensetzung des Gremiums hat die Landesarbeitsgemeinschaft der Hessischer Frauenbüros (LAG) ihre begründeten Zweifel an der Neutralität des Rates. Betrachtet man allein dessen Zusammensetzung unter geschlechterparitätischen Gesichtspunkten, kommen uns erhebliche Bedenken zu dessen Objektivität. Die Häufigkeit der Beschwerden in Bezug auf frauendiskriminierende Werbungen und das Männer-Frauen-Verhältnis im Werberat von 77% zu 23% (10 zu 3) sind aus unserer Sicht nicht akzeptabel! Zudem verhält es sich problematisch, dass die Ratsmitglieder zu einem nicht geringen Anteil selbst in der Wirtschaft und Wirtschaftskommunikation tätig sind – eine neutrale, beziehungsweise annähernd objektive Bewertung der Beschwerden ist demnach nahezu unmöglich. Ein solches Gremium sollte sich aus unserer Sicht aus SoziologInnen, PsychologInnen, eben Fachleuten, die sich mit gesellschaftlichen Problemen unter nichtprofitablen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen im Stande, und nicht selbst Teil der Wirtschaftskommunikationsindustrie sind, zusammensetzen – andernfalls sind glaubwürdige Beurteilungen kaum möglich.

Nach unserer Meinung könnten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes mehr Kompetenzen für die Auseinandersetzung mit Beschwerden zu diskriminierender Werbung zuteil werden. Dieses Gremium scheint unseres Erachtens geeigneter im Umgang mit dieser, da als oberste Direktive der Antidiskriminierungsstelle das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dient, welches gemäß § 1 AGG den Schutz vor Benachteiligung und demnach Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Rasse, Religion und anderem, gewährleisten soll.

Als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erscheinen Sie uns, Frau von der Leyen, als geeignete Ansprechpartnerin für unser Anliegen. Wir bitten Sie, sich mit den beschriebenen Problemen, welche viele Menschen, und eben vor allem Frauen, betreffen, auseinanderzusetzen und uns zu unterstützen.

Wir bedanken uns dafür im Voraus und verbleiben mit freundlichen Grüßen für die Sprecherinnen der LAG Hessen.

Christa Winter