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21.07.2014 - Forderungen zum Hilfesystem bei Gewalt in Hessen

Forderungen für eine bedarfsgerechte Ausgestaltung und Finanzierung des Hilfesystems bei Gewalt in Hessen

Die Arbeit in Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen trägt dazu bei, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Grundgesetz Artikel 2, Absatz 2 zu sichern. Dies ist ein gesetzlicher Auftrag mit Verfassungsrang, so dass es überfällig ist, diese Arbeit aus dem Bereich der freiwilligen Leistungen heraus zu lösen. Es muss die gesetzliche Basis dafür geschaffen werden, dass eine bedarfsgerechte Ausgestaltung und Finanzierung des Hilfesystems bei Gewalt eine Pflichtaufgabe wird. Dazu sollten auch von der Landesebene aus Initiativen ergriffen werden.

Aktuell erfolgt die Finanzierung als freiwillige Leistung weitgehend über das sogenannte Sozialbudget, das laut Koalitionsvereinbarung erhöht und auf mehrere Jahre gesichert werden soll. Dies begrüßen wir als Landesarbeitsgemeinschaft Hessischer Frauenbüros als Fortschritt. Erfreut haben wir auch zur Kenntnis genommen, dass in der Koalitionsvereinbarung das Ziel einer besseren Finanzierungssicherheit für Frauenhäuser und eine flächendeckende Versorgung mit Interventionsstellen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen als Ziele formuliert sind.

Hierbei halten wir es für notwendig, dass das Land Hessen sich begleitend zur dringend gebotenen Erhöhung des Sozialbudgets ein Bild von der Versorgungslage insgesamt macht. Daten müssen so erhoben und aufgearbeitet werden, dass Lücken in der Versorgung erkannt und im Dialog mit den entsprechenden Kommunen beseitigt werden. In Kommunen und Kreisen haben sich jeweils eigene Strukturen von Frauenhäusern, zugehörigen oder unabhängigen Beratungsstellen, Interventionsstellen, Anlaufstellen mit Koppelung an medizinische Einrichtungen etc. ergeben. Frauen müssen wohnortnah Beratung und Unterstützung erhalten. Brauchen Frauen für sich und ihre Kinder Zuflucht, muss der Grundsatz der freien Wahl des Frauenhauses gelten, so dass Frauen entscheiden können, wo sie für ihre individuelle Situation den bestmöglichen Schutz finden. Für Täter müssen Therapieangebote überall erreichbar sein.

Viele Kommunen haben massive finanzielle Probleme und haben sich daher unter den „Schutz-schirm“ des Landes begeben oder unterliegen anderen Auflagen bei der Haushaltsführung. Da die Finanzierung des Hilfesystems bei Gewalt schon jetzt nicht ausreichend ist, ist darauf zu achten, dass Kommunen nicht Gelder einsparen bzw. streichen können oder müssen, wenn das Land eine neue oder ausgeweitete Finanzierung gewährt. Dafür muss bei der konkreten Ausgestaltung des Sozialbudgets geachtet werden.

Im Gegenteil: Zum Erhalt und zur gebotenen Weiterentwicklung des Hilfesystems müssen auch die Kommunen in die Lage versetzt werden, im Sinne der gemeinsamen Verantwortung zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen.

Wir erwarten, dass mit den kommunalisierten Mitteln die bedarfsgerechte und fachliche Weiterent-wicklung und die Gewährleistung landesweit vergleichbarer Versorgungs- und Lebensbedingungen gewährleistet werden, wie dies auch die Rahmenvereinbarung zur Kommunalisierung sozialer Hilfen vorsieht.

Für folgende Bereiche sehen wir besonders dringenden Handlungs- und Finanzierungsbedarf:

Interventionsstellen- schnelle erste Hilfe zur Selbsthilfe Interventionsstellen sind Fachberatungsstellen als Teil des Hilfesystems bei Häuslicher Gewalt. Pro-aktive Beratung ist eine schnelle erste Hilfe zur Selbsthilfe. Sie erreicht betroffene Frauen in einer akuten Krisensituation und trägt dazu bei, dass die Gewaltspirale frühzeitiger beendet werden kann. In der Folge können auch mögliche weitere Polizeieinsätze vermieden werden. Daher muss Interventionsarbeit durch das Land Hessen flächendeckend gefördert werden, um die ent-sprechenden Lücken zu schließen. Wir begrüßen die entsprechenden Absichtserklärungen in der Koalitionsvereinbarung.

Miterleben Häuslicher Gewalt – eine Kindeswohlgefährdung Kinder und Jugendliche, die oft über Jahre mit einer Vielzahl von Belastungsfaktoren durch die Gewalt zwischen den Eltern leben mussten und ggf.  traumatisiert sind, sind in ihrer seelischen Gesundheit gefährdet. Das Jugendhilfesystem wird hierdurch langfristig mehr belastet, da ein großer Unterstützungsbedarf für die betroffenen Kinder und Jugendlichen besteht. Wenn es nicht gelingt, die im Miterleben der Häuslichen Gewalt gemachten Erfahrungen zu verarbeiten und Abstand von der gewaltgeprägten Familiensituation zu finden, kann das Einfluss auf den gesamten weiteren Lebensweg, die berufliche Biographie und das Familienleben in der nächsten Generation haben. Die Arbeit mit den Mädchen und Jungen, die mit ihren Müttern in ein Frauenhaus kommen, muss dringend finanziert werden.

Täterarbeit – Verantwortung für die Gewaltausübung übernehmen Täterarbeit ist ein Ansatz zur Vermeidung von weiterer häuslicher Gewalt. Fachberatungsstellen bieten neben Beratungen Anti-Gewalt-Programme an, die die Täter dazu bringen, sich ihrem Ver-halten zu stellen und gewaltfreie Lebensalternativen aufzeigen. Diese Arbeit ist eine wichtige Er-gänzung zur Arbeit für die Frauen, Kinder und Jugendlichen. Sie darf aber nicht zu finanziellen Lasten der Angebote für die Opfer gehen. Die Finanzierung muss daher weiter davon losgelöst bleiben, und so verbindlich festgeschrieben werden, dass kontinuierliche Angebote möglich sind.

Barrierefreier Zugang zum Hilfesystem – in mehreren Hinsichten Ein weiterer Bereich, der hessenweit noch zusätzliche Mittel erfordert, ist - angesichts der sehr hohen Zahlen zur Gewaltbetroffenheit von behinderten Frauen - der barrierefreie Zugang zu Bera-tungs- und Schutzeinrichtungen. Der barrierefreie Zugang bezieht sich auf die bauliche Situation, aber auch auf die Schulung von Mitarbeiterinnen z. B. zur Beratung in einfacher Sprache. Notwendig ist zudem auch eine entsprechende Aufarbeitung von Materialien und das zur Verfügung haben von Gebärdendolmetscherinnen.

Frauen mit Migrationshintergrund – besondere Bedarfe erkennen Frauen mit Migrationshintergrund sind überdurchschnittlich häufig von Partnergewalt betroffen*, -Es muss geprüft werden, ob mehr Mittel für unabhängige Dolmetscherinnen gebraucht werden. Frauen mit Migrationshintergrund haben oft einen höheren Bedarf an nachgehender Begleitung und Beratung. In der besonders akuten Situation der Flucht, von der aktuell viele Frauen betroffen sind, muss sichergestellt werden, dass auch sie sich ans Hilfesystem wenden können. Kapazitäten müssen zur Verfügung stehen, um Traumata zu bearbeiten.

Es ist erfreulich, dass das Sozialbudget aufgestockt und für mehrere Jahre garantiert werden soll. Dies ist jedoch nicht ausreichend. Angepasst an die Kostenentwicklung muss eine Steigerung pro Jahr erfolgen. Insbesondere für kleinere Träger ist die seit 2008 komplett fehlende Dynamisierung der Mittel des Landes ein immer schärfer werdendes Problem; einige Kommunen dynamisieren ihre finanziellen Zuschüsse ebenfalls nicht. Hier muss eine Lösung gefunden werden, die der ge-sellschaftlichen Notwendigkeit der Aufgaben, der starken Belastung und dem hohen Engagement, das die Mitarbeiterinnen in diesem Bereich tagtäglich zeigen, gerecht wird.

* Belegt unter anderem im Bericht der Bundesregierung zur Situation der Frauenhäuser, der Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder vom August 2012 (S. 15): „Seit Jahren ist bekannt, dass unter den Nutzerinnen von Frauenhäusern ein sehr hoher Anteil von Frauen einen Migrationshintergrund hat; so hatten nach der Bewohnerinnenstatistik der Frauenhauskoordinierungsstelle für 2010 rund 50 Prozent der Frauen einen Migrationshintergrund.“