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24.08.2018 - Stellungnahme der LAG hessischer kommunaler Frauen- und Gleichstellungsbüros zum § 219a und den anstehenden Gerichtsverfahren gegen Frauenärztinnen aus Kassel und Gießen

Die LAG hessischer kommunaler Frauen- und Gleichstellungsbüros fordert die sofortige und ersatzlose Streichung des § 219a StGb und solidarisiert sich mit den Frauenärztinnen Kristina Hänel aus Gießen sowie Nora Szasz und Natascha Nicklaus aus Kassel. Die Ärztinnen führen Schwangerschaftsabbrüche durch und informieren auf ihren Webseiten darüber. Nach Anzeigen von sog. „Lebensschützern“ wertete das Gericht dies als Verstoß gegen § 219a StGB, das sogenannte „Werbeverbot“, und verurteilte Kristina Hänel. Für Kristina Hänel steht am 6.9.2018 das Revisionsverfahren an und am 29.08.2018 das Gerichtsverfahren für die Kasseler Ärztinnen.

Um Solidarität mit den angeklagten Ärztinnen, zu demonstrieren, finden vor den Verhandlungsterminen Kundgebungen statt, weitere Informationen sind hier zu finden: https://solidaritaetfuerkristinahaenel.wordpress.com/termine/

 

Wir, die LAG der hessischen kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbüros, stellen hierzu fest:

  • Der §219a StGB unterscheidet nicht zwischen Information und Werbung und stellt somit beides unter Strafe. Der Fall Hänel zeigt dies exemplarisch, da die Staatsanwaltschaft die strittigen Passagen als „seriös und sachlich“ bezeichnete. Damit wird es Frauen in Notsituationen unmöglich gemacht, sich neutrale Informationen über Möglichkeiten und Risiken eines Schwangerschaftsabbruches zu verschaffen. §27 der Berufsordnung für Ärzt_innen definiert dagegen sehr genau den Unterschied zwischen „erlaubte[r] Information und berufswidrige[r] Werbung“ - somit bedarf es keiner weiteren gesonderten Regelung für Schwangerschaftsabbrüche.

  • Betroffene Frauen sind durch fehlende Informationen in ihrem Recht, frei zu entscheiden, wer den Eingriff durchführen soll, und in ihrem Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt. Dass sie bei einer Recherche im Internet unweigerlich auf die Websites von Abtreibungsgegner_innen gelangen, ist eine zusätzliche psychische Belastung.

  • Selbsternannte „Lebensschützer_innen“ nutzen den §219a verstärkt, um Ärzt_innen anzuzeigen und so unter Druck zu setzen. Studien belegen jedoch, dass der fehlende Zugang zu Informationen keineswegs zu einem Rückgang der Abbrüche führt, sondern lediglich die Bedingungen erschwert, unter der diese stattfinden. Lebensschutz bedeutet daher vielmehr, Frauen einen Zugang zu einem sicheren Eingriff zu ermöglichen.

  • Der §219a StGB wurde im Jahr 1933 vom NS-Regime ins Strafgesetzbuch aufgenommen und war ein Instrument zur Sicherung faschistischer Weltanschauung – während deutschen Frauen und Ärzt_innen bei einem wiederholten Abbruch die Todesstrafe drohte, wurden gleichzeitig jüdische Frauen zu Abtreibungen gezwungen. Dennoch wird er in der bundesdeutschen Rechtsprechung noch immer angewendet und wurde der heutigen Lebensrealität nicht angepasst.

  • Die Entscheidung zu einem Schwangerschaftsabbruch wird meist aus großer innerer Not getroffen und ist wohlüberlegt und oft sehr schmerzhaft. Die Annahme, eine Schwangere entscheide sich aufgrund einer ärztlichen Werbung zu einer Abtreibung, ist absurd.

  • Der §218 StGB stellt Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe. Dies führt dazu, dass ärztliche Aus- und Weiterbildung zum Thema faktisch nicht stattfinden. Ein fachlicher Austausch von Lehr- und Informationsmaterial wird durch die Strafandrohung des §219a StGB erschwert. Dies geht zu Lasten der Sicherheit betroffener Frauen und ist daher nicht hinnehmbar.

  • Die §§ 218, 218a, 219 und 219a StGB kriminalisieren Frauen in Notsituationen und deren Ärzt_innen. Stattdessen müssen gesellschaftliche Bedingungen geschaffen werden, die es Frauen erleichtern, sich auch in schwierigen Situationen für ein Kind zu entscheiden – wie beispielsweise durch einen Abbau prekärer Arbeitsverhältnisse, eine Verbesserung der Kinderbetreuung oder bessere finanzielle Unterstützung von Alleinerziehenden.

Die Petition von Kristina Hänel zur Abschaffung des § 219a StGB erhielt rund 156.000 Unterschriften. Bereits im Jahr 2006 stellte das BVerfG in einem anderen Fall fest, „Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können.“ Diese Aussage schließen wir uns an und fordern daher die sofortige und ersatzlose Streichung des §219a StGB.

Pressemitteilung  (pdf)