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22. 11. 2019 - Positionspapier der LAG der Hessischen Frauen- und Gleichstellungsbüros zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Hessen

Positionspapier der LAG der Hessischen Frauen- und Gleichstellungs-büros zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) in Hessen

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Seit dem innerstaatlichen Inkrafttreten der Istanbul-Konvention am 1. Februar 2018 sind die Länder in ihren Kompetenzbereichen direkt zu ihrer Umsetzung und Anwendung verpflichtet (Artikel 1 Zweck des Übereinkommens). In Deutschland fallen wesentliche Aufgaben der Gewaltprävention, des Gewaltschutzes und der Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen in die Zuständigkeit der Länder oder werden von diesen an die Kommunen delegiert.

 

Der Aktionsplan 2 des Landes Hessen zur Bekämpfung der Gewalt im häuslichen Bereich von 2011 bildet bereits wichtige Aspekte ab, doch setzt die Istanbul-Konvention auch neue Maßstäbe und macht es erforderlich, alle Formen von Gewalt gegen Frauen in den Blick zu nehmen.

 

Vor diesem Hintergrund begrüßt die LAG der Hessischen Frauen- und Gleichstellungsbüros die Initiative der Hessischen Landesregierung, zur Umsetzung der Istanbul-Konvention neue Maßnahmen gegen Gewalt und Unterdrückung von Frauen zu initiieren und die vorhandenen Aktionspläne weiter zu entwickeln (Koalitionsvertrag Seite 30). Hierbei sind die kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten zu beteiligen.

 

 

Damit die Umsetzung gelingen kann, fordern wir

 

  • umfangreiche Strategien zur Prävention um auf Einstellungen, Geschlechterrollen und Klischees einzuwirken, so dass Gewalt gegen Frauen gesellschaftlich als nicht akzeptabel angesehen wird.

 

  • die Weiterentwicklung der Strukturen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt. 
  • Die vielfältigen Anforderungen der Istanbul-Konvention erfordern neue Strukturen zur Koordinierung der Maßnahmen gegen Gewalt, deren Implementierung, Monitoring und Evaluation, z. B. durch die Einrichtung einer neuen bzw. die Erweiterung der bestehenden, bewährten Landeskoordinierungsstelle (Artikel 10).
  • Unter Berücksichtigung der inhaltlichen Vorgaben der Konvention müssen alle Formen von Gewalt und alle Betroffenengruppen mit ihren Rechten in den Blick genommen werden. Entsprechend müssen Landesaktionspläne neu erarbeitet oder weiterentwickelt werden (Artikel 7). Als Grundlage muss eine Bestands- und Bedarfsanalyse (analog Baden-Württemberg oder Bayern) vom Land in Auftrag gegeben werden. Ziel ist es u.a., ein hessenweites, bedarfsdeckendes Angebot an Frauen- und Kinderschutzhäusern und spezialisierten Fachberatungsstellen gegen Gewalt an Frauen vorzuhalten.
  • Auch auf der regionalen Ebene müssen die Arbeitsstrukturen weiterentwickelt werden. Die kommunalen Frauenbeauftragten sind die Koordinatorinnen der Runden Tische. Die Mitarbeit der anderen Akteure und Akteurinnen des Gewaltschutzsystems hängt häufig von deren individuellem Engagement ab. Zur effektiven Umsetzung der Ziele der Istanbul-Konvention muss die Zusammenarbeit verbindlicher werden und mit Ressourcen insbesondere auch für die Vernetzung hinterlegt werden.

 

  • die einzelfallunabhängige und verlässliche Finanzierung mit uneingeschränktem Zugang zu Schutzeinrichtungen für alle von Gewalt betroffenen Frauen und Kinder
  • Es muss sowohl eine Aufstockung der vorhandenen Frauenhauszimmer erfolgen als auch andere Varianten von Schutzeinrichtungen müssen umgesetzt werden, beispielsweise die Einrichtung von Schutzwohnungen für Frauen mit einem besonderen Unterstützungsbedarf und für Frauen mit älteren Söhnen.
  • Auch Frauen ohne Anspruch auf soziale Leistungen und/oder unklarem Aufenthaltsstatus müssen Zugang zu Schutzeinrichtungen haben.
  • Die bedarfsgerechte Versorgung von Frauen mit Beeinträchtigungen muss gewährleistet werden. Dazu zählen insbesondere der barrierefreie Zugang zum Hilfesystem und die Verankerung des Gewaltschutzes in stationären Einrichtungen.
  • Versorgungslücken für Frauen mit spezifischen Bedarfslagen, wie z. B psychisch erkrankte oder suchtkranke Frauen müssen geschlossen werden.

 

  • den Ausbau der Beratungs- und Hilfestrukturen. 
  • Beratungsstellen müssen so ausgestattet werden, dass sie bei Bedarf Betroffene auch längerfristig begleiten und unterstützen können.
  • Es müssen Beratungs- und Hilfsangebote für spezifische Formen von Gewalt wie:

            - digitale Gewalt
            - Gewalt im Namen der sogenannten Ehre
            - gewaltvolle Praktiken und Bräuche, die sich gegen Frauen und
              Mädchen richten (z.B. Genitalverstümmelung)
            - (Zwangs-)Prostitution
            - rituelle Gewalt

             vorgehalten bzw. weiter ausgebaut werden.

  • Das Beratungsnetz für Betroffene von sexualisierter Gewalt muss nach einer erfolgten Bedarfsanalyse (s.o.) ausgebaut werden.
  • Projekte zur medizinischen Versorgung und verfahrensunabhängiger Spurensicherung nach einer Vergewaltigung müssen flächendeckend unter Einhaltung einheitlicher Standards installiert werden.


  • die Weiterentwicklung des rechtlichen Schutzes vor Gewalt. 
  • Die Sicherheit und der Schutz von Frauen und Kindern müssen in Sorgerechts- und Umgangsverfahren Vorrang haben. Geschlechtsspezifische Gewalt muss bei Entscheidungen über das Sorge- und Umgangsrecht berücksichtigt werden (Artikel
    31).
    Richter und Richterinnen sowie Staatsanwälte und Staatsanwältinnen müssen entsprechend fortgebildet werden.
  • Frauen und ihre Kinder müssen unabhängig ihrer Herkunft, ihres Passes oder ihres Aufenthaltstitels vor jeglicher Art der Gewalt geschützt werden. Daher soll sich die Landesregierung für die Rücknahme der Vorbehalte gegen einen umfassenden Ausweisungsschutz in Fällen von Gewalt einsetzen (Artikel 59).
  • Das Opferentschädigungsgesetz (OEG) muss auf psychische Gewalt ausgeweitet werden. Menschen ohne rechtmäßigen Aufenthaltsstatus sollten mit anderen Leistungsberechtigten gleichgestellt werden (Artikel 30). Der Zugang zu Leistungen nach dem OEG muss insgesamt erleichtert werden. Hierfür soll sich die Landesregierung einsetzen.

 

Für die Erfüllung der Anforderungen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention müssen auf Landesebene finanzielle Mittel in ausreichendem Umfang zur Verfügung gestellt werden.

 

 

 

Das Positionspapier wurde erstellt von der Arbeitsgruppe Gewaltprävention der LAG.

Kontakt:

Irmgard Schüler, Baunatal, irmgard.schueler@stadt-bauatal.de

Ute Boersch, Landkreis Hersfeld-Rotenburg, ute.boersch@hef-rof.de