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19.06.2012 - Haftpflichtproblematik der Hebammen

Verschärfung der Haftpflichtproblematik der Hebammen nach erneuter Prämienerhöhung auf 4.242 Euro/Jahr für die Geburtshilfe

Sehr geehrter Herr Minister Bahr,

anlässlich der erneuten Erhöhung der Haftpflichtprämien für Hebammen zum 01.Juli 2012, fordern wir eine handlungs- und lösungsorientierte Politik, in der die Folgeproblematiken und –kosten von Geburten stärker berücksichtigt werden. Wir erwarten uns von Ihnen konkrete Maßnahmen, um das „Hebammensterben“ zu beenden.

Die Erhöhung der Versicherungsprämien hat gravierende Folgen für die Existenzsicherung der Hebammen. Durch den nun kommenden Anstieg um 15% auf 4.242 Euro/Jahr sehen sich noch mehr Hebammen dazu gezwungen die Geburtshilfe aufzugeben und nur noch jene Leistungen anzubieten, für die die Versicherungsprämie gering geblieben ist.1 Besonders betroffen von der Erhöhung sind in Teilzeit arbeitende Hebammen, die die gleiche Prämie zahlen müssen wie ihre Kolleginnen in Vollzeit.

Wie aus der von Ihnen in Auftrag gegebenen Studie „Versorgungsund Vergütungssituation in der außerklinischen Hebammenhilfe“ des IGES Instituts hervorgeht, übersteigt schon jetzt die Nachfrage nach einigen Leistungen das Angebot.2 Hierzu zählen vor allem die Wochenbettbetreuung und die 1:1 Betreuung bei Beleggeburten, die aber im Zuge der Haftpflichterhöhung verstärkt nicht mehr angeboten werden.

Das IGES Institut kommt zu dem Schluss, dass eine flächendeckende wohnortnahe Versorgung mit Hebammen fast überall in Deutschland gegeben ist. Ungeklärt bleibt dabei jedoch, ob bei einer Einschränkung des Leistungsangebots der Hebammen, eine wohnortnahe Versorgung in allen Leistungsbereichen vorhanden ist. Es besteht die Gefahr, dass es zwar Hebammen in einer Region gibt, aber nicht genügend, die beispielsweise Geburtshilfe anbieten. Bei einer solchen Entwicklung kann von einer guten wohnortnahen Versorgung keine Rede sein. Die freie Wahl des Geburtsortes und der Schwangerschaftsbetreuung ist für schwangere Frauen nicht mehr gewährleistet.

Zur Problematik des zurückgehenden Angebots der von Hebammen begleiteten Geburtshilfe kommt hinzu, dass die Zahl der Fachabteilungen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in den Krankenhäusern in den letzten Jahren stetig abgenommen hat.3 Wie die Studie erläutert, gibt es in einigen Landkreisen nur noch ein einziges Krankenhaus, das überhaupt Geburtshilfe anbietet. Aufgrund des mangelnden Angebots von Hebammen, die Hausgeburten durchführen oder Geburtshäuser unterhalten und besonders von Hebammen, die 1:1 Betreuungen bei Beleggeburten anbieten, bleibt Frauen in solchen Regionen keine andere Wahl, als das nächste Krankenhaus aufzusuchen.4

Der Studie zufolge, ist die Anzahl der berufstätigen Hebammen in der „Kopfzahl“ über die letzten Jahre hinweg gestiegen. Es wird daher von einer ausreichenden Versorgung ausgegangen, die zusätzlich mit zurückgehenden Geburtenzahlen begründet wird. Dabei wird jedoch die Tatsache vernachlässigt, dass die Zahl der Hebammen in Teilzeit stark zugenommen hat und dass die Geburtsbetreuung heutzutage generell länger dauert, als noch vor 20 Jahren.5 Dies liegt einerseits an einer zunehmenden Unsicherheit von schwangeren Frauen, die die Betreuung intensiver und zeitaufwändiger macht und zum anderen an der intensiveren Wochenbettbetreuung, die die Hebammen leisten müssen. Die Zeit der Wochenbettbetreuung ist länger geworden, da die Wöchnerinnen oft früher aus dem Krankenhaus entlassen werden.6 Diese intensivere Zeitbelastung bei der Geburtsbetreuung und -nachbetreuung spiegelt sich in der Vergütung der Hebammen überhaupt nicht wieder.

Im Zusammenhang mit einer zunehmenden Unsicherheit von Schwangeren, beklagen die Hebammen außerdem die sehr hohe Kaiserschnittrate in Deutschland. In manchen Regionen erreicht sie bis zu 45%, was weit über dem Durchschnitt westlicher Industrienationen liegt. Der WHO zufolge, sei eine Rate von 15% normal, in Deutschland sind es im Durchschnitt jedoch rund 30% Kaiserschnitte.7 Laut der Kaiserschnittstudie der Gmünder Ersatzkasse (GEK) aus dem Jahre 2006, entscheiden sich Ärzte bei der Leitung einer Geburt im Durchschnitt doppelt so oft wie Hebammen zum Kaiserschnitt.8 Dies zeigt, wie wichtig Hebammen für eine „natürliche“ Geburt sind. Im Diskurs werden oft auch die Risiken vernachlässigt, die (geplante) Kaiserschnitte sowohl für Neugeborene, als auch für Folgegeburten bergen. Die hieraus entstehenden Folgekosten werden selten thematisiert, obwohl sie ein weiteres Argument für eine „natürliche“, von Hebammen geleitete Geburt sind.

Um Frauen bzw. werdenden Eltern weiterhin die Wahlmöglichkeit bei einer Entbindung zu geben, müssen weitreichende Maßnahmen ergriffen werden, die den Beruf der Hebamme sichern. Dem Anstieg der Berufshaftpflichtprämie muss deshalb entgegen gewirkt werden!9 Des Weiteren muss eine Lösung für angestellte Hebammen in Krankenhäusern gefunden werden, die trotz ihres Angestellten-Verhältnisses ihre Versicherungsprämien, ebenso wie ihre freiberuflichen Kolleginnen, selbst bezahlen. Nur wenn die finanziellen Bedingungen für Hebammen verbessert werden, kann weiterhin die gute Versorgung von Mutter und Kind aufrecht erhalten und ein Verschwinden der Hebammen wie beispielsweise in den Vereinigten Staaten von Amerika verhindert werden. Wir fordern daher von Ihnen, treffen Sie Maßnahmen, damit die Hebammen zwischen verschiedenen und deshalb günstigeren Versicherungsanbietern und -angeboten wählen können. Um den Versicherungsgesellschaften den Vertragsabschluss mit Hebammen attraktiver zu gestalten, könnte beispielsweise die Festlegung einer Obergrenze im Schadensfall diskutiert werden. Weiter denkbar wäre eine Regelung, nach der die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten sogenannter „Rufbereitschaften“ übernehmen. Durch diese Leistungen, die die Hebammen direkt mit den Versicherten abrechnen können, werden laut Studie des IGES Instituts, die erhöhten Haftpflichtbeträge an die Schwangeren weiter gegeben.10 Dass die Kosten für eine gute und sichere Geburt teilweise von den Schwangeren selbst übernommen werden müssen, kann nicht im Sinne des Gesundheitsministeriums sein.

Wir bitten Sie, unsere Argumente und Forderungen in den auf Ihrer Internetseite angekündigten Gesprächen mit dem GVK-Spitzenverband sowie mit den Vertretern der Versicherungswirtschaft und der Krankenhäuser zu berücksichtigen.

Da es bislang keine bundesamtlichen Statistiken über die Versorgungs- und Vergütungssituation von Hebammen gibt, ist eine umfassende Datenerhebung in Auftrag zu geben! Nur so können genaue Annahmen über die zukünftige Entwicklung der Hebammensituation in Deutschland getroffen werden.

Zum internationalen Hebammentag am 5.Mai 2012, gab es sehr viele Aktionen vor Ort, die von uns unterstützt wurden. Unter anderem hat sich Bundesfamilienministerin Kristina Schröder für eine „Rückendeckung“ der Hebammen ausgesprochen.11

Wir als Frauenbeauftragte in Hessen und auch in anderen Bundesländern finden es unerlässlich für Frauen bzw. Eltern, eine Wahlfreiheit zur Geburt ihrer Kinder zu haben. Deshalb fordern wir Sie auf, handeln Sie, Herr Minister!

Mit freundlichen Grüßen
Christa Winter
(Für die LAG-Sprecherinnen)

 

1 Nach Angaben der freiberuflichen Hebammen haben bereits 25% von ihnen seit Juli 2012 die außerklinische Geburtshilfe aufgegeben. Diese Zahl wird bei einem durchschnittlichen Nettolohn von 7 Euro pro Stunde und weiter steigenden Versicherungsbeiträgen noch größer werden.
2 Vgl. IGES Institut: „Versorgungs- und Vergütungssituation in der außerklinischen Hebammenhilfe. Ergebnisbericht für das Bundesministerium für Gesundheit.“, S.98
3 Vgl. IGES Institut: „Versorgungs- und Vergütungssituation in der außerklinischen Hebammenhilfe. Ergebnisbericht für das Bundesministerium für Gesundheit.“, S.163 f.
4 Dies ist beispielsweise in weiten Teilen Mecklenburg-Vorpommerns der Fall, in denen es oft nur ein einziges Krankenhaus pro Landkreis gibt, das Geburtshilfe anbietet. Hinzu kommt, dass die Hebammen durchschnittlich sehr weite Wege zu den Schwangeren zurücklegen müssen und außerdem nur sehr wenige von ihnen Leistungen der Geburtshilfe anbieten. Vgl. ebd. S.180 ff.
5 Vgl. ebd. S.75 f.
6 Vgl. ebd. S.29, S.170
7 Vgl. ebd. S.26 ff.
8 Lutz/ Kolip, GEK-Gmünder ErsatzKasse: „Die GEK-Kaiserschnittstudie“, S.22, 89 f.
9 Laut Studie des IGES Institut besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Berufshaftpflichtprämie und der Niederlegung der Geburtshilfe. Vgl. IGES Institut: „Versorgungs- und Vergütungssituation in der außerklinischen Hebammenhilfe. Ergebnisbericht für das Bundesministerium für Gesundheit.“, vgl. S.139
10 Vgl. IGES Institut: „Versorgungs- und Vergütungssituation in der außerklinischen Hebammenhilfe. Ergebnisbericht für das Bundesministerium für Gesundheit.“, S.109
11 Tageszeitung, 6.Mai 2012

Quellen:
IGES Institut: Versorgungs- und Vergütungssituation in der außerklinischen Hebammenhilfe. Ergebnisbericht für das Bundesministerium für Gesundheit. Berlin, 2012.
Letzter Zugriff: 15.06.2012
IGES-Gutachten (PDF)

Lutz, Ulrike/ Kolip, Petra; GEK-Gmünder ErsatzKasse (Hrsg.): Die GEK-Kaiserschnittstudie. GEKEdition: Bd. 42, Sankt Augustin: Asgard-Verl., 2006.
Letzter Zugriff: 18.06.2012
GEK_Kaiserschnittstudie (PDF)